Interview mit Petra Riegler

Maike Riegler mit Freund David

Petra Riegler wohnt mit ihrer schwerbehinderten Tochter in einem kleinen Städtchen nahe Esslingen am Neckar. Im Interview schildert sie, wie beschämend es für sie ist, dass es in einer Großstadt wie Stuttgart keine Wickelmöglichkeiten für Erwachsene gibt.

Frau Riegler, ein Ausflug ins Grüne ist Ihnen sicher lieber als ein Ausflug in die Stadt, oder?

Wenn das Wetter schön und die Wege vielleicht noch geteert sind, auf jeden Fall. Aber ja, Sie haben Recht, genau das ist das Problem. Mit einem Baby ist das Wickeln noch recht einfach, auch in der Stadt. Da geht man mal eben auf eine Parkbank. Aber wenn die Kinder größer werden, ist damit Schluss. Meine Tochter ist jetzt 20 Jahre alt. Da fängt das Problem schon auf der Fahrt in den Urlaub an. Wenn wir zum Beispiel mit dem Auto nach Dänemark wollen - wir fahren eigentlich immer in den Norden, weil es da viele barrierefreie Ferienhäuser gibt - dann bedeutet das, dass wir auf der langen Fahrt zweimal windeln müssen. Natürlich gibt es in den Raststätten Rolli-Toiletten, die sind ja auch schön und gut, aber ich finde es nicht so spannend, mein Kind dort auf dem Boden zu wickeln.

Gibt es denn eine Alternative?

Das ist immer die große Herausforderung, wenn wir unterwegs sind. Da ist man ständig auf der Suche: Gibt es irgendwo einen Parkplatz, irgendwo eine Wiese, wo wir sie unbeobachtet wickeln können? Auf der Autobahn nehmen wir schon mal die nächste Ausfahrt, wenn uns scheint, dass es da irgendwo ein Plätzchen geben könnte.

In der Stadt ist man da erst recht aufgeschmissen, oder?

Total! Wir wollten neulich einen Bummel in Stuttgart machen und ich habe mich vorher bei der Stadtverwaltung erkundigt, wo ich meine Tochter wickeln kann. Als Antwort hieß es dann, dass im Rathaus im zweiten Stock die einzige Möglichkeit ist. Stellen Sie sich das mal vor, für eine deutsche Stadt mit 600.000 Einwohnern! Wirklich beschämend finde ich das!

Geht es Ihnen in anderen Städten auch so?

Nur! Ich kenne das gar nicht anders. Letzten Samstag waren wir in Tübingen bei einer Floßfahrt, wo sie auch Rolli-Fahrer mitnehmen. Da habe ich morgens in der Touristeninformation angerufen und habe nach Wickelmöglichkeiten für Erwachsene gefragt. Das war natürlich etwas provokativ, denn die Antwort kannte ich eigentlich. Die Dame hat sich wirklich sehr bemüht, aber es gibt keine einzige Möglichkeit in ganz Tübingen, weder in den Unikliniken noch in den großen Einkaufszentren.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie diese Antwort bekommen haben?

Ich war wütend, richtig stinksauer! Weil ich denke, dass es eigentlich ganz einfache Lösungen gibt. Zum Beispiel eine klappbare Liege. So etwas kann doch jeder irgendwo besorgen. Ich habe aber auch schon positive Erfahrungen gemacht. Einmal waren wir im Frieder-Burda-Museum in Baden-Baden. Ich habe dort an der Info gefragt und die Frau hat ziemlich schnell verstanden, was ich brauche, und hat sofort jemanden gerufen vom Personal. Der hat mir dann in einem Raum eine Liege aufgebaut und mich auch noch gefragt, ob das so in Ordnung ist. Ein Traum!

Aber leider eines der wenigen positiven Beispiele?

Ja. Selbst der große Reha-Hersteller in Berlin, bei dem ich neulich war, der hat ein ganz neues Haus mit einer tollen Ausstellung über alle mögliche Medizintechnik, aber die Rolli-Toilette im Haus hat keine Liege. Also das geht doch gar nicht, wenigstens die müssten doch an so etwas denken! Bei uns in Esslingen gibt es einen Kleintierverein mit einem kleinen Gelände, ein schönes Ausflugsziel, wenn man Kinder hat. Der Verein hat in den letzten Jahren barrierefrei umgebaut, die haben sich wirklich ganz doll Mühe gegeben, aber als ich mit meiner Wickelmöglichkeit gekommen bin, sagte mir der Vorsitzende: "Oje, darüber haben wir uns überhaupt keinen Kopf gemacht, das wussten wir gar nicht." Daran merkt man, dass die Schwerbehinderten, die gewindelt werden müssen, gar nicht in unserem Kopf existieren.

Man sieht sie ja auch nie…

Eben, das ist ja das Problem. Aber hier geht es ja nicht nur um die Schwerbehinderten, sondern um alle Menschen, die inkontinent sind. Das ist einfach ein unangenehmes Thema. Niemand trägt dieses Schild gern vor sich her. Selbst in der Apotheke redet man nicht drüber, wenn hinter einem noch zehn Leute stehen, sondern geht mit dem Apotheker in eine hintere Ecke.

Hier ist also eher die Gesellschaft gefragt und nicht die Politik?

Beides. Aber in erster Linie ist es schon Sache der Politik. Es müsste in der DIN-Norm etwas drinstehen über Wickelmöglichkeiten für Erwachsene, dann wären die Kommunen gezwungen, mal darüber nachzudenken, wenn sie irgendwas Neues bauen. Aber auch die privaten Investoren sehe ich in der Pflicht, gerade die! Bei einem Milliardenprojekt wie Stuttgart 21 zum Beispiel muss doch eigentlich eine Toilette mit Liege drin sein. Was ich vermisse, ist, dass man sich überhaupt Gedanken macht, wie und wo erwachsene Menschen gewickelt werden können. Es muss ja nicht unbedingt die Rolli-Toilette mit Liege sein, es kann auch ein anderer Raum sein, den man entsprechend gestaltet. Es müssen dann aber natürlich Hinweisschilder an die Rolli-Toiletten, wo klar steht, Wickelmöglichkeiten im Raum dort und dort.

Warum wenden Sie sich nicht an die Politik?

Von dort oben, sage ich mal, heißt es immer, wir unten müssen kämpfen. Aber wir unten - die wir sowieso schon den ganzen Tag um alles Mögliche kämpfen - meinen, dass das eigentlich von oben kommen muss. Es kann doch nicht sein, dass wir Eltern neben unseren hundert anderen Baustellen auch noch Lobbyarbeit für Wickelmöglichkeiten betreiben!

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