Seit dem 26. März 2009 ist für Deutschland das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" verbindlich, welches von den Vereinten Nationen am 13. Dezember 2006 beschlossen und von Deutschland unterzeichnet wurde. Das Land hat sich damit verpflichtet, bestehende Gesetze dahingehend anzupassen, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte etwa in der Bildung, bei der Arbeit und im kulturellen Leben erhalten, wie Menschen ohne Behinderung. Über den verbreiteten Integrationsgedanken hinaus fordert die Konvention die soziale Inklusion, also in vollem Umfang an der Gesellschaft teilhaben zu können und dabei Unabhängigkeit und Autonomie zu wahren.
Oftmals ist die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht möglich, da es an Barrierefreiheit mangelt - denn nicht nur banale Treppen können Menschen mit Behinderungen ausschließen. Sind Betroffene mit Betreuern oder Eltern in einem öffentlichen Gebäude und benötigen einen geeigneten Raum zum Wechseln der Inkontinenzeinlage, stehen sie meistens vor einem großen Problem: Die Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen müssen mühsam und oftmals unter größtem Kraftaufwand von ihren Begleitpersonen aus dem Rollstuhl heraus (Belastung des Rückens) und auf den Toilettenboden (Hygieneproblem) gelegt werden, um dort eine frische Inkontinenzeinlage zu erhalten.
Einen Menschen - egal ob Kind oder Erwachsener - auf den Boden einer öffentlichen Toilette legen zu müssen, stellt eine menschenunwürdige Situation dar. In nahezu allen (Damen-)Toiletten findet man inzwischen einen Wickeltisch für Babys. Dies ist ein Fortschritt, doch leider nicht für unsere Zielgruppe. Deshalb fordern wir eine Wechselstation für erwachsene Menschen mit schwerer Behinderung (höhenverstellbare Sicherheitsliege und Personen-Lifter zum Transfer von Rollstuhl auf die Liegen).
In anderen Ländern, wie etwa in Großbritannien, sind "Toiletten für alle" inzwischen gängiger Standard geworden (siehe Changing Places). Dort sieht man erfreulicherweise viel mehr Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen auf der Straße und eben auch in öffentlichen Einrichtungen, wie z. B. Einkaufszentren, Bahnhöfen, Kinos, Museen oder Parks.
Deutschland ist in vielen - gerade wirtschaftlichen - Bereichen eines der führenden Länder in Europa. Wenn es aber um die Bedürfnisse von Menschen mit Komplexer Behinderung geht, zählen wir eher zu den Schlusslichtern. Es besteht akuter Handlungsbedarf!
Deshalb fordern wir langfristig die Einführung einer DIN-Norm, die auch Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen ermöglicht, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Diese DIN-Norm soll für alle öffentlichen Einrichtungen, wie etwa städtische Schwimmbäder, Rathäuser und Museen, aber auch für Einkaufszentren und andere Orte des öffentlichen Lebens (Freizeitgestaltung) verpflichtend werden.
Die bestehenden DIN-Normen, DIN 18040-1 Behindertentoiletten und DIN 18024-2 Sanitärräume (siehe DIN-Normen Barrierefreies Bauen), regeln Größe und Ausstattung, Abstand der Griffe und ähnliche Details der Ausstattung. Eine Regelung fehlt: Liegeflächen zum Wickeln von Erwachsenen mit (Decken-)Liftern zur Erleichterung des Transfers von Rollstuhl auf die Sicherheitsliege. Diese Ergänzung der DIN-Normen gilt es festzulegen und umzusetzen.
Die Stiftung Leben pur sucht Partner aus Politik, Industrie und Wirtschaft sowie andere Behindertenverbände, die dieses Grundbedürfnis erkennen und die flächendeckende Umsetzung in Deutschland unterstützen. Eine angemessene Toilettenversorgung ist ein Menschenrecht!
Vorbild kann die britische Norm British Standard 8300 sein, die bereits seit 2009 gültig ist. Die Zielgruppe ist groß: Sie umfasst Menschen mit geistiger Behinderung, Menschen mit Körperbehinderung sowie alte und demente Menschen.